Wie Lehrkräfte den MINT-Funken entfachen können
Deutschlands Schüler:innen mögen Mathematik, Physik und Chemie nicht. Was passieren muss, damit sich das ändert.
Was man gerne macht, das macht man auch gut. An diesem alten Sprichwort ist viel Wahres. Immerhin beschäftigt man sich naturgemäß lieber mit Dingen, die einem Freude bereiten, und wird dadurch automatisch besser in ihnen. Aber gilt auch der umgekehrte Fall? Hat man also automatisch Spaß an einer Sache, nur weil sie einem leicht von der Hand geht? Auf die sogenannten MINT-Fächer in der Schule jedenfalls – also auf Mathematik, Informatik, die Naturwissenschaften und Technik – trifft das offenkundig nicht zu. Das legt eine neue SINUS-Studie nahe, die wir als Deutsche Telekom Stiftung beauftragt haben. In der Untersuchung geht es um die Motivation von 10- bis 16-Jährigen, MINT zu lernen. Fast 80 Prozent der befragten Schüler:innen sagen darin beispielsweise selbstbewusst von sich, sie könnten Mathematik. Allerdings geben nur 36 Prozent an, das Fach gern zu mögen. Und sogar nur 29 Prozent können sich vorstellen, später einen verwandten Beruf zu wählen. Und Mathe ist hier nicht etwa ein negativer Ausreißer – die meisten anderen MINT-Disziplinen polarisieren bei den Schüler:innen ähnlich krass.
Um ehrlich zu sein: Mich haben diese Befunde erschreckt. Weil wir uns in Deutschland eine so geringe MINT-Motivation in unserer jungen Generation eigentlich nicht leisten können. Denn in einer komplexen Welt wie der unsrigen müssen MINT-Kompetenzen ein unverzichtbarer Teil der Allgemeinbildung sein: Nur wer bestimmte Zusammenhänge versteht – etwa beim Thema Klimawandel, beim Umbau unserer Energieversorgung oder bei der Nutzung von Künstlicher Intelligenz –, wird an dieser Welt weiter teilhaben können, sich nicht abgehängt fühlen.
Alltagsbezüge herstellen, Sinne ansprechen
Was also muss passieren, damit sich das Blatt wendet? Ich behaupte: Wenn wir den Kindern und Jugendlichen den Spaß an MINT zurückgeben wollen, dann müssen wir die Art und Weise, wie die Fächer vielerorts gelehrt und gelernt werden, grundlegend ändern. Denn die Leistungsdefizite sind ja nicht etwa Folge mangelnden Talents, sondern Ausdruck eines Unterrichts, der die Schüler:innen häufig nicht mehr richtig erreicht. Weil er nur wenige Bezüge zum Alltag der jungen Menschen herstellt. Und weil er ihre Sinne kaum anspricht. Um ein anschauliches Bild zu bemühen: Bislang läuft der MINT-Unterricht an vielen Schulen noch weitgehend zweidimensional ab. Die Lernenden sitzen im Klassenraum und folgen den Ausführungen der Lehrkraft. Manchmal bearbeiten sie Aufgaben auf Papier oder an der Tafel. Was sich die Kinder und Jugendlichen allerdings wünschen, sind echte „3D-Erlebnisse“; einen Unterricht also, der sich nicht allein um staubige Theorie dreht, sondern in dem konstruiert, geschraubt, gebaut, geforscht und experimentiert wird. Und in dem Inhalte auf dem Lehrplan stehen, die für die Schüler:innen tatsächlich relevant sind. Wie berechne ich meinen täglichen Kalorienbedarf und die Nährwerte für eine gesunde Mahlzeit? Welche Chemie steckt in den Pflegeprodukten, die ich täglich nutze? Und wie wirkt sich der Klimawandel auf die Umgebung vor meiner Haustür aus? Solche Fragen faszinieren Jugendliche, weil sie eine Brücke in ihre Lebenswelt schlagen. In der Junior-Ingenieur-Akademie (JIA), einem Technikprojekt, das wir als Stiftung unterstützen, haben Schüler:innen mal Kunststoff aus Naturfasern gewonnen und daraus Handyhüllen gegossen. Was glaubt ihr, wie begeistert die während des gesamten Lernprozesses bei der Sache waren?
Überhaupt ist die JIA ein Paradebeispiel dafür, wie wir als Stiftung uns neue Wege des MINT-Lehrens und -Lernens an allen Schulen in Deutschland vorstellen. Die Jugendlichen arbeiten hier stark praxis- und projektbezogen – und gewinnen nebenbei Einblicke in die verschiedensten technischen Berufe. Dafür sorgt die Kooperation der JIA-Schulen – deutschlandweit sind es mittlerweile knapp 120 – mit außerschulischen Partnern wie etwa Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen. Kürzlich haben wir das Projekt evaluiert; mit dem Ergebnis, dass sich JIA-Schüler:innen weitaus häufiger als ihre Altersgenoss:innen vorstellen können, nach der Schule ein Studium oder eine Ausbildung in einer MINT-Disziplin zu beginnen.
Die Schüler:innen müssen angstfrei lernen können
Natürlich entfaltet auch der innovativste MINT-Unterricht keine Wirkung, wenn es der Lehrkraft nicht gelingt, eine Lernatmosphäre zu schaffen, in der sich die Kinder und Jugendlichen sicher fühlen und angstfrei arbeiten können. Denn auch das zeigt uns die SINUS-Studie: Lehrer:innen sind hier der Schlüssel. Sie prägen mit ihrer Art des Classroom-Managements die Lernmotivation ihrer Schüler:innen in den MINT-Fächern ganz entscheidend. Indem sie ihnen ausreichend Zeit gewähren, um die komplexen Inhalte durchdringen zu können; indem sie eine positive Fragekultur schaffen, in der der Satz „Das habe ich euch doch schon so oft erklärt!“ nicht vorkommt; und indem sie gerade schwächeren Schüler:innen die individuelle Unterstützung geben, die diese brauchen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Nicht ohne Grund haben in der Studie viele der Befragten gesagt, dass sie MINT als elitär empfänden, weil zum Beispiel auch außerunterrichtliche Aktivitäten wie MINT-AGs vornehmlich leistungsstärkere Jugendliche ansprächen. Hier müssen die Lehrkräfte gezielt gegenarbeiten und ihre Angebote so gestalten, dass sie junge Menschen mit den unterschiedlichsten Voraussetzungen erreichen.
Wenn wir wollen, dass sich die junge Generation künftig aktiv an der Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen beteiligt, müssen wir den MINT-Unterricht neu denken – praxisnah, lebensweltbezogen und für alle zugänglich. Damit es den Lehrkräften künftig wieder gelingt, den Funken überspringen zu lassen. Und die Schüler:innen in Deutschland MINT nicht nur gut, sondern auch gerne machen.
Den Gesamtbericht sowie eine Zusammenfassung der Ergebnisse der SINUS-Studie gibt es hier.