„Wie eine Lehrkraft, die unendlich viel Zeit hat“
Smarter Feedback geben: Im Projekt DARIUS (Digital Argumentation Instruction for Science) haben Forscher vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) in Kiel eine KI-gestützte digitale Lernumgebung konzipiert – ermöglicht von der Telekom-Stiftung. Gruppenleiter Dr. Thorben Jansen erklärt, wie das System den MINT-Unterricht bereichert.
Herr Jansen, worum geht es bei DARIUS?
Wir haben ein KI-basiertes Assistenzsystem für den MINT-Unterricht entwickelt. Es soll die Vermittlung einer wichtigen Kompetenz fördern: naturwissenschaftliches Argumentieren. Unser System schult diese Fähigkeit am Beispiel des Themas Klimawandel: Soll die Politik Solaranlagen, Wasserkraft oder Windkraft fördern? Welcher Energieträger wäre der beste für Autos? Schülerinnen und Schüler lernen, bei Fragen wie diesen einen eigenen Standpunkt zu finden – und ihn begründet zu vertreten.
Warum ist es so wichtig, das zu können?
Viele globale Herausforderungen wie die Digitalisierung oder eben der Klimawandel haben ganz grundlegend mit den MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik zu tun. Nur wer solide Kenntnisse darin hat, kann später dazu beitragen, Lösungen zu entwickeln. Und nur wer argumentieren kann, kann an den gesellschaftlichen Diskursen über diese Herausforderungen teilnehmen. Letztendlich geht es also auch um gesellschaftliche Teilhabe.
Wie unterstützt Ihr Assistenzsystem diese Fähigkeit genau?
Es soll dabei unterstützen, schriftliche Argumentationen auszuwerten und Feedback zu geben. Dafür haben wir Beurteilungsalgorithmen mit über 5000 Beispiel-Schülertexten und dazugehörigen Beurteilungen trainiert. Der Datensatz beinhaltet Antworten von Jugendlichen der Klassen 9 bis 12, die unterschiedliche Schulformen besuchen und unterschiedliche soziale Hintergründe haben. So stellen wir sicher, dass das System verschiedene Schülergruppen gleich gut und fair beurteilen kann.
Macht es das besser als eine Lehrkraft?
Nein, das System beurteilt nicht so gut wie eine Lehrkraft, die sich dafür Zeit genommen hat, allerdings ist es deutlich schneller: Dank des Systems kann eine ganze Klasse im Unterricht Rückmeldungen zu ihren Argumentationen erhalten – individuell auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten und sogar schon im Entstehungsprozess der Texte. Das System leitet die Schülerinnen und Schüler nämlich Schritt für Schritt durch die wesentlichen Phasen einer Argumentation, etwa das Schreiben der einzelnen Argumente und das Finden einer nachvollziehbaren Entscheidungsregel. Somit gibt es Feedback, wie es eine Lehrkraft tun würde, die unendlich viel Zeit hat.
Das System entlastet die Lehrperson also?
Genau. Unsere digitale Lernumgebung soll Lehrkräfte keinesfalls ersetzen, sondern sie in ihren Arbeitsprozessen unterstützen. Pädagogen erhalten damit einen kompakten Überblick über die individuellen Kompetenzen und Lernentwicklungen ihrer Schülerinnen und Schüler. Das erleichtert die datengestützte Unterrichtsgestaltung. Wenn Lehrkräfte dank KI mehr Schülerinnen und Schüler mit ihrem Feedback erreichen und gleichzeitig wieder mehr Ressourcen für andere wichtige Aufgaben haben, dann kann der Unterricht davon profitieren.
Das Projekt startet jetzt mit der Telekom-Stiftung in eine zweite Förderphase. Wie geht es weiter?
Wir haben in den vergangenen drei Jahren viel gelernt und viele positive Rückmeldungen von Lehrkräften erhalten. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen, möchten wir unser Assistenzsystem in der zweiten Förderphase um neue Aufgabenstellungen erweitern und auch die Beurteilungsalgorithmen noch einmal optimieren. Unser großes Ziel ist es darüber hinaus, das System weitläufig in der Schulpraxis zu implementieren. Wir möchten es frei verfügbar machen – und Lehrpersonen darin fortbilden, wie sie es gewinnbringend in ihrem Unterricht einsetzen. Ziel ist es, dass im Schuljahr 2024/25 bereits100 Schulen das Assistenzsystem nutzen.
Was glauben Sie: Welche Rolle werden Assistenzsysteme wie dieses künftig in der Schule spielen?
Sie werden es Lehrkräften ermöglichen, viele ihrer täglichen Handlungen leicht zu vervielfältigen, die bislang noch sehr zeitraubend sind, etwa das Beurteilen, das Erstellen von Lehrmaterialien oder von individueller Rückmeldung. Durch diese Beschleunigung hat die Technik das Potenzial, das Lehren und Lernen besser zu machen. Sie ist aber nicht die Lösung für alles, weil sie potenziell auch schlechte Unterrichtspraktiken vervielfältigt. Wir sollten KI daher nicht um der KI willen einsetzen, sondern uns genau überlegen, wo ihr Einsatz wirklich didaktische Vorteile bringt. Gelingt dies, können Lehrkräfte künftig den Unterricht in die Klasse bringen, den sie sich vorgestellt haben, für den sie bislang aber nie die Zeit hatten.
Auch für unseren aktuellen Jahresbericht haben wir mit Thorben Jansen gesprochen. Im Gespräch mit ihm und anderen Wegbegleitern werfen wir einen Blick zurück auf 20 Jahre Stiftungsarbeit – und zeigen, was die Zukunft bringt. (Hier geht es zum Jahresbericht)