Kreativität und kritisches Denken messen
Eine OECD-Studie zeigt die Leitplanken für innovative Leistungsmessung auf, die auch überfachliche Kompetenzen bewerten kann. Zentrale Ergebnisse liegen nun auch auf Deutsch vor.
Bisherigen Methoden, mit denen in der Schule Lernerfolge gemessen werden, reichen schon heute, aber vor allem in Zukunft nicht mehr aus. Denn sie sind auf fachliches Wissen und Können ausgerichtet, nicht aber auf überfachliche Kompetenzen. Eine 2023 erschienene Studie der OECD zeigt deshalb die Leitplanken für innovative Leistungsmessung auf, die komplexe Kompetenzen wie Kreativität, kritisches Denken und Teamfähigkeit erfassen und bewerten können sollen.
Unter dem Titel „Innovative Ansätze zur Leistungsmessung und Förderung komplexer Fähigkeiten“ machen die Autoren der Studie anhand von Beispielen deutlich, was wie verändert werden muss und welche Rolle Technologie beim Prüfen und Fördern überfachlicher Kompetenzen spielen kann. Sie liefern Schlüsselideen, um die nächste Generation von Leistungsmessungen zu entwickeln, sowie umsetzbare Informationen für Entwicklerinnen und Entwickler von Leistungsmessungen, Pädagoginnen und Pädagogen sowie politische Entscheidungsträger. Die Deutsche Telekom Stiftung, die Bertelsmann Stiftung, die Robert Bosch Stiftung und die Stiftung Mercator haben jetzt die deutsche Übersetzung der Studie vorgelegt. Die zentralen Aussagen sind hier zusammengefasst.
Warum ist Leistungsmessung so bedeutsam?
Wer schulisches Lernen verändern will, um es auf heutige und zukünftige Anforderungen an Bildung auszurichten, kommt am Thema Leistungsmessung nicht vorbei. Denn Leistungsmessung hat eine zentrale Orientierungsfunktion für alle Beteiligten: Die Art, wie Leistung gemessen wird, und welche Kompetenzen dabei im Fokus stehen, wirkt sich stark darauf aus, was und wie gelernt wird. So kann Leistungsmessung, je nachdem, wie sie ausgestaltet ist, Veränderungen in Bildungszielen und -praktiken vorantreiben oder auch verzögern. Ihre Ausgestaltung spielt also eine bedeutsame Rolle für die Zukunft der Bildung.
Warum neue Formen der Leistungsmessung?
Leistungsmessung sollte sich auf das konzentrieren, worauf es ankommt. Und das sind heute und in Zukunft neben solidem Fachwissen besonders die „4 K“. Für die Studienautoren kommt der Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten und Probleme zu lösen, eine besondere, übergeordnete Rolle zu: Diese setzt neben einem fundierten Fachwissen ein analytisches, kreatives und kritisches Denkvermögen voraus. Ebenso nennen sie soziale und emotionale Fähigkeiten, Toleranz und gegenseitiger Respekt sowie die Fähigkeit zur Selbstregulation und zu einem besseren Verständnis der eigenen Denk- und Lernprozesse als wichtige komplexe Kompetenzen. All dieses kann die schulische Leistungsmessung mit ihren aktuellen Methoden nicht erheben.
Was macht überfachliche Kompetenzen so schwer fassbar?
Überfachliche Kompetenzen zu messen und zu bewerten, ist ein sehr komplexes Unterfangen: Häufig sind sie miteinander verwoben und lassen sich schwer isoliert voneinander betrachten. So kann ein Problemlöseprozess je nach Kontext und Art des Problems auch kreatives Denken und Zusammenarbeit umfassen.
Überfachliche Kompetenzen sind zudem nicht unabhängig von Fachwissen zu beobachten. Sie lassen sich nicht in einem Vakuum einsetzen, denn sie brauchen das Wissen als Inhalt und Arbeitsgegenstand.
Und nicht zuletzt dürfte die Ausprägung und das Verständnis von überfachlichen Kompetenzen auch (sozio-)kulturell verschieden sein, weil komplexe Fähigkeiten in soziale Kontexte eingebettet und von kulturellen Normen geprägt sind. Auch das unterscheidet sie wesentlich von Fachwissen, das unabhängig kultureller Grenzen besteht. Deshalb ist es wichtig, genau zu definieren, was beurteilt werden soll.
Wie kommen wir zu neuen Formen der Leistungsmessung?
Auf dem Weg zu neuen Formen der Leistungsmessung sind immer drei Entwicklungsbereiche relevant. Diese bilden das sogenannte Assessment Triangle als konzeptioneller Rahmen zur Gestaltung von Kompetenzmessung:
Unter dem Stichwort Kognition ist der Frage nachzugehen, welches Wissen und welche Fähigkeiten die Lernenden im jeweiligen Lehr-/Lernbereich entwickeln sollen – was es also zu messen gilt. Hier ist mit Blick auf komplexe Kompetenzen wie kollaboratives Problemlösen oder Kommunikation noch einiges an Forschung nötig: Anders als etwa bei der Beurteilung von Lesefähigkeit, für die die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten definiert sind, ist für komplexe Kompetenzen noch umfassende Klärung notwendig: Welche Konzepte, Sprache und Werkzeuge verwenden die Menschen in der Zieldomäne und was macht eine gute Leistung in diesen Bereichen aus?
Unter dem Aspekt Beobachtung wird das passende Aufgabendesign entwickelt: Welche Aufgaben oder Situationen ermöglichen es, die Leistungen von Lernenden zu beobachten? Zur Messung der komplexen Kompetenzen des 21. Jahrhunderts reicht es möglicherweise nicht aus, allein Antworten oder Arbeitsergebnisse zu betrachten, sondern vielmehr auch die Prozesse dahinter. Die Studienautoren gehen davon aus, dass Schülerwissen und -können sich vor allem dann valide erfassen lassen, wenn sie in authentischen Situationen gezeigt werden. Digitale Werkzeuge können die Möglichkeiten dazu immens erweitern, indem sich mit ihnen Prüfungssituationen und -aufgaben möglichst realitätsnah ausgestalten lassen, etwa auch in Simulationen.
Im dritten Teilbereich, der Interpretation, werden die Methoden festgelegt, mit denen sich die gezeigten Leistungen zum einen belegen und zum anderen auswerten lassen. Den beobachtbaren Variablen müssen Werte zugeordnet und die Daten zu Indikatoren oder Skalen zusammengefasst werden können. Diese Methoden müssen präzise und verlässlich sein, das heißt keine alternativen Hypothesen zulassen und fair und angemessen für die Lernenden sein.
Die Studie bietet erste Anregungen und Impulse für alle drei Bereiche; insgesamt steht die Wissenschaft aber erst am Anfang bei der Entwicklung der erforderlichen nächsten Generation von Leistungsmessung.
Das Assessment Triangle
Wer ist nun gefragt?
Damit neue Formen von Leistungsmessung, die den Anforderungen an die Bildung junger Menschen heute und in Zukunft gerecht werden, entwickeln zu können, bedarf es der gemeinsamen, dreifachen Anstrengung:
- Forschung und Entwicklung: Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen müssen interdisziplinär zusammenwirken, darunter Bewertungsentwickler, Technologieentwickler, Lernwissenschaftler, Domänenexperten, Messexperten und Datenwissenschaftler, aber auch Bildungspraktiker und politische Entscheidungsträger.
- Finanzierung: Die Entwicklung ist zeit- und kostenintensiv und benötigt daher eine solide Finanzierung.
- Politik im weitesten Sinne: Da Bildung eine staatliche Angelegenheit ist, sind für ihre Weiterentwicklung die politischen Akteure in diesem Bereich zentral. Denn es gilt, weitreichende Veränderungen in Strukturen zu erreichen, die in Praxis und Politik fest verankert sind.