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„Die Lehrkräfte spielen eine entscheidende Rolle“

Text: Daniel Schwitzer | Lesezeit: 5 Minuten
Junge sitzt am Tisch und experimentiert.
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Schüler für Technik begeistern – das ist das Ziel der Junior-Ingenieur-Akademie. Doch wie wirksam ist das Programm der Telekom-Stiftung? Das haben Erziehungswissenschaftler der Universität Stuttgart jetzt untersucht.

Frau Professorin Kögler, Sie haben die Wirksamkeit der Junior-Ingenieur-Akademie (JIA) untersucht. Das zweijährige Wahlpflichtfach soll Neunt- und Zehntklässler für Technikthemen begeistern. Gelingt das?

Kristina Kögler: Das Technikinteresse der Jugendlichen entwickelt sich tatsächlich positiv. Insbesondere bei denjenigen Schülerinnen und Schülern, die mit eher geringem Interesse in die JIA gestartet sind, sehen wir einen deutlichen Effekt. Und wer schon zu Beginn der JIA sehr interessiert an Technikthemen war, der bleibt dies auch im weiteren Verlauf. Das ist insofern beachtlich, als das fachspezifische Interesse insbesondere im MINT-Bereich in diesem Alter eher abnimmt, wie wir aus der Forschung wissen. Ein Angebot wie die JIA ergibt also Sinn, um diesen Effekt abzumildern oder sogar ins Gegenteil zu verkehren.


Welche Faktoren beeinflussen denn das Technikinteresse in der Jugendphase?

Michael Weber: Ein enger Zusammenhang besteht mit dem sogenannten Fähigkeitsselbstkonzept. Darunter verstehen wir das gesammelte Erfahrungswissen einer Person in Bezug auf das Thema. Für wie fähig halte ich mich, ein technisches Problem zu lösen? Welche Herausforderungen traue ich mir zu, und wo sehe ich meine Grenzen? Was glaube ich zu können und was nicht? Ist dieses Fähigkeitsselbstkonzept positiv, so ermöglicht mir das, Interesse und Motivation aufzubauen.

Kristina Kögler: Wobei es hier auch eine psychologische Komponente gibt. Mädchen neigen im Technikbereich zum Beispiel dazu, ihre positiven Erfahrungen und Erfolge eher auf externe Umstände zurückzuführen und weniger auf ihr eigenes Können. Bei Jungen ist es umgekehrt.

Michael Weber: Lehrkräfte können das Technikinteresse zudem positiv beeinflussen, indem sie relevante und aktivierende Aufgaben stellen. Je anschaulicher die Aufgaben sind und je mehr ich sie als Schüler mit meiner Lebenswelt verknüpfen kann, desto eher fördert das mein Interesse.


Sie haben eben schon die Geschlechterunterschiede beim Technikinteresse angesprochen. Mädchen gelten gemeinhin als weniger technikaffin als Jungen. Hat sich das in der Evaluation der JIA bestätigt?

Michael Weber: Das ist eine der spannendsten Erkenntnisse: Verglichen mit der Kontrollgruppe und der Gesamtpopulation, sind die Geschlechterunterschiede in der JIA nämlich tatsächlich sehr gering. So gering, wie wir es sonst nur bei jüngeren Schülerinnen und Schülern sehen. Je älter die Jugendlichen werden, muss man sagen, desto größer werden normalerweise auch die Unterschiede. Da bewegen sich die Mittelwerte dann klar in Richtung Schublade.

Kristina Kögler: Ich bin gespannt, ob die gesellschaftliche Debatte um Geschlechterstereotype und -identitäten an diesem Schubladendenken mittelfristig etwas ändern wird, also an dem Bedürfnis, sich in der Adoleszenz klar irgendwo zu verorten. Da sind wir gerade in einem sehr interessanten Entwicklungsprozess, der irgendwann auch für die MINT-Bildung und -förderung Konsequenzen haben könnte. 

 

Porträtfotos von Kristina Kögler und Michael Weber
Prof. Kristina Kögler und Michael Weber von der Universität Stuttgart: Haben die Junior-Ingenieur-Akademie evaluiert (Quelle: Privat).


Interessieren sich Mädchen in der JIA für andere Technikthemen als Jungen?

Michael Weber: Es gibt schon Themen, die eher für Jungen, und solche, die eher für Mädchen interessant sind. Es gibt aber auch Themen, die beide Geschlechter gleichermaßen ansprechen. Hilfreich ist es immer, die Jugendlichen in ihrer Erlebniswelt abzuholen. Eine Handyhülle für den 3-D-Drucker zu entwerfen und selbst zu produzieren – so etwas finden alle Jugendlichen spannend, auch Zukunftsthemen wie Robotik oder Wasserstoffantriebe. Wir haben aber noch etwas anderes herausgefunden: Selbst „harte“ Themen wie Elektrotechnik, die normalerweise stark männlich besetzt sind, lassen sich durch biologische, medizinische oder gesellschaftliche Bezüge so aufwerten, dass auch Mädchen darauf anspringen. Ein Beispiel: Wenn wir fragen „Wie spannend findest du es, mehr darüber zu erfahren, wie eine Roboterhand funktioniert?“, dann ist das tendenziell eher für Jungen interessant. Wenn wir die Frage aber geringfügig abwandeln – „Wie spannend findest du es, mehr darüber zu erfahren, wie eine Roboterhand einer menschlichen Hand nachempfunden ist?“ – dann holen wir plötzlich auch die Mädchen ab. Übrigens, ohne dass das Interesse der Jungen dadurch nachließe.


Wie muss der JIA-Unterricht gestaltet sein, damit er die Jugendlichen besonders anspricht? Welche Rolle spielt der „Hands-on“-Charakter, die Tatsache also, dass dort viel geschraubt, gebastelt und konstruiert wird?

Kristina Kögler: In der Methodik und Didaktik sprechen wir hier von handlungsorientiertem Unterricht. Dieser wirkt sich allgemein sehr positiv aus, wie wir aus verschiedenen Studien wissen. Das Gleiche gilt für offene und selbstgesteuerte Lernformen. Dabei geht es um das Erleben von Eingebundenheit, von Autonomie, von Mitbestimmungsmöglichkeiten. Und genau solche offenen Lernformen finden sich ja in der JIA.


Eines der Ziele der JIA ist, dass Jugendliche Einblick in die Arbeit von Ingenieuren und Technikern erhalten und dadurch im besten Falle selbst Lust bekommen, nach der Schule einen solchen Beruf zu erlernen. Wie erfolgreich ist die JIA in dieser Hinsicht?

Michael Weber: Tatsächlich sehr erfolgreich. Wir sehen klar, dass Schülerinnen und Schüler, die die JIA besucht haben, sich signifikant häufiger vorstellen können, nach der Schule einen MINT-Beruf zu ergreifen, als die Jugendlichen in der Kontrollgruppe. Das ist für uns eines der Highlights der Evaluation. Eine entscheidende Rolle spielen dabei auch die JIA-Lehrkräfte: Je begeisterungsfähiger sie sind, je mitreißender sie den Unterricht gestalten, desto positiver wirkt sich das auf die angestrebte Berufswahl der Schülerinnen und Schüler aus.

Kristina Kögler: Auch hier zeigen sich übrigens keine Geschlechterunterschiede. Egal ob JIA-Schüler oder JIA-Schülerin – die Wahrscheinlichkeit, einen MINT-Beruf in Betracht zu ziehen, ist dieselbe.

Michael Weber: Spannend fanden wir insbesondere, wie breit gefächert das berufliche Interesse der JIA-Schülerinnen ist. Wir haben verschiedene Interessenbereiche abgefragt, von denen einige normalerweise eher polar zueinanderstehen: Entweder man interessiert sich für soziale oder aber für handfeste technische Tätigkeiten. Entweder man ist der künstlerische oder aber der forschend-unternehmerische Typ. Bei den JIA-Schülerinnen sehen wir diesen Befund im Vergleich mit den Schülerinnen der Kontrollgruppe überraschenderweise nicht, ihr berufliches Interesse ist an sämtlichen Polen relativ stark ausgeprägt.


Wie fällt nach der Evaluation Ihr Fazit zur Junior-Ingenieur-Akademie aus?

Kristina Kögler: Insgesamt ist das Fazit absolut positiv. Die JIA ist eine wertvolle Maßnahme, wenn es darum geht, Schülerinnen und Schüler in die Auseinandersetzung mit MINT-Themen zu bringen. Die Lehrkräfte kreieren ein wertschätzendes Umfeld, das die Jugendlichen aktiviert und in dem sich insbesondere auch Mädchen willkommen fühlen und entfalten können. Das Technikinteresse entwickelt sich im Verlauf der JIA positiv, und es gibt sogar deutliche Auswirkungen auf die intendierte Berufswahl. Über diese Befunde freuen wir uns sehr. Und vielleicht finden wir ja noch weitere. Das Datenmaterial wird uns auf jeden Fall noch eine Weile beschäftigen.