„Wir wollen die Jugendlichen an den Rändern erreichen“
Innovative Lernräume (Teil 2): Die Stadtbibliothek Rostock hat gemeinsam mit Partnern einen mobilen Makerspace eingerichtet. Hier erklären die Bibliotheksdirektorin Martina Bade und der Medienpädagoge Dennis Kranz das Konzept.
Herr Kranz, ein Makerspace ist ein Experimentierraum, in dem Kinder und Jugendliche die verschiedensten digitalen Geräte ausprobieren und kreativ für ihre eigenen Projekte nutzen können – zum Beispiel 3-D-Drucker, Laser-Cutter, CNC-Fräsen …
Dennis Kranz: … bei uns in Rostock haben wir außerdem noch digitale Näh- und Stickmaschinen, mit denen Besucher ihre Kleidung veredeln können. Wir haben Spielekonsolen. Wir haben Trickfilmboxen, mit denen man Lego-Trickfilme produzieren kann. Am beliebtesten ist aber unser Schokoladen-Drucker.
Ein Schokoladen-Drucker?
Kranz: Das ist quasi ein 3-D-Drucker, nur dass er nicht mit flüssigem Kunststoff druckt, sondern mit flüssiger Schokolade. Die Jugendlichen gestalten am Rechner dreidimensionale Modelle und können dann selbst Osterhasen, Weihnachtsmänner, Pralinen oder Torten-Dekoration herstellen.
Warum sind außerschulische Lernorte wie der Makerspace Rostock wichtig, Frau Bade?
Martina Bade: Weil es dort im Gegensatz zum System Schule weder Zwang noch Notendruck gibt. Kinder und Jugendliche kommen freiwillig zu uns und lernen Dinge, die sie wirklich lernen wollen. Sie müssen am Ende des Tages nicht vorweisen: Das sind meine zwei Minuten Comic-Film. Oder: Das ist mein Schoko-Weihnachtsmann. Es genügt, dass sie da sind und sich beschäftigen. Lehrkräfte verstehen das oft nicht. Die wollen immer, dass am Ende ein vorzeigbares Ergebnis steht. Einfach anfangen und dann mal gucken, was rauskommt – das finden die ganz schrecklich.
Normalerweise ist ein Makerspace ja dauerhaft an einem Ort eingerichtet. Das ist in Rostock anders.
Bade: Stimmt, unser Makerspace ist zunächst mal mobil und wandert von Quartier zu Quartier. Die Idee dahinter ist, dass wir mit dem Angebot nicht nur das Stadtzentrum erreichen wollten, das eh gut mit Freizeitmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche versorgt ist, sondern auch die Ränder, also die sogenannten sozialen Brennpunkte, wo der Plattenbau das Erscheinungsbild der Quartiere prägt. Dazu muss man wissen, dass es mit der innerstädtischen Mobilität bei Jugendlichen schwierig ist. Obwohl alle Schüler und Schülerinnen ein kostenloses Schüler-Ticket haben, verlassen sie ungern ihren Kiez. Deshalb war es uns wichtig, den Makerspace direkt zu den Jugendlichen an der Peripherie zu bringen. Hinzu kam, dass wir als Stadtbibliothek Rostock das Angebot ja nicht alleine betreiben, sondern zusammen mit Partnern. Und die sind auch nicht alle im Zentrum angesiedelt.
Wie kommt der Makerspace denn bislang bei den jungen Menschen an?
Kranz: Das erste halbe Jahr waren wir in Toitenwinkel, im Nordosten von Rostock. Dort hatten wir einen ehemaligen Fahrradladen angemietet, der schon eine Weile leer stand, direkt am zentralen Sternplatz gelegen, wo es viele Geschäfte gibt, wo immer viel Bewegung ist. An die Jugendlichen ranzukommen, war anfangs trotzdem nicht einfach. Geholfen hat uns die Zusammenarbeit mit den Stadtteil- und Begegnungszentren, die Jugendliche aus ihren Projekten zu uns geschickt haben. Da gab es zum Beispiel ein Projekt, wo die Jugendlichen Seifenkisten gebaut haben. Und bei uns haben sie dann mit dem Plotter ihre Trikots für das Rennen bedruckt. Das war eine schöne Kooperation. Auch unsere Angebote in den Sommerferien sind sehr gut angenommen worden.
Bade: Von unserem neuen Standort im Stadtteil Lütten Klein, an den wir jetzt umgezogen sind, erhoffen wir uns noch mal deutlich mehr „Laufkundschaft“. Dort sitzen wir mitten im Einkaufszentrum, in einem ehemaligen Frisörbedarfsgeschäft gegenüber vom Drogeriemarkt. Wir werden jetzt auch unser Angebot noch mal erweitern.
Interessieren sich eigentlich auch Schulen für den Makerspace?
Kranz: Es kommen vermehrt Anfragen. Das Problem dabei ist, dass vielen Lehrkräfte noch ein wenig das Verständnis dafür fehlt, was ein Makerspace überhaupt ist und wie er genutzt werden kann. Ziel ist ja nicht, dass sie ihre Schülerinnen und Schüler zu uns abschieben und dann Kaffee trinken gehen, während die Jugendlichen einfach irgendwas machen. Stattdessen sollten die Schulklassen möglichst schon eine konkrete Idee zu uns mitbringen. Wollen sie zum Beispiel einen Trickfilm drehen, dann sollten sie das Konzept dafür im Unterricht schon vorbereitet haben. Alles andere ist für uns zeitmäßig gar nicht zu leisten. Um das klarzumachen, bieten wir jetzt auch verstärkt Lehrkräftefortbildungen an.
Die Telekom-Stiftung unterstützt den Makerspace im Rahmen ihres bundesweiten Projekts Chancen bilden. Darin fördert sie auf lokaler oder regionaler Ebene die Vernetzung von Lernorten. Können Sie mal erzählen, wie diese Vernetzung in Rostock genau aussieht?
Kranz: Der Makerspace ist ein Gemeinschaftsvorhaben von verschiedenen Rostocker Einrichtungen, mit denen die Telekom-Stiftung bereits vorher in anderen Projekten zusammengearbeitet hat. Mit dabei sind neben uns als Stadtbibliothek auch zwei Schulen und drei Jugendhäuser. Die Partner sollen uns einerseits mit Jugendlichen versorgen, andererseits aber auch eigene Angebote im Makerspace machen. Das läuft jetzt so langsam an. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe anderer Einrichtungen in der Stadt, mit denen wir heute schon kooperieren, zum Beispiel die Stadtteil- und Begegnungszentren.
Bade: Ein weiterer Kooperationspartner soll die Universität Rostock werden. Die Idee ist, dass künftig deren Lehramtsstudierenden in den Makerspace kommen und bei uns die pädagogische und didaktische Arbeit an außerschulischen Lernorten kennenlernen. Mit der Uni sind wir übrigens auch im Gespräch über eine räumliche Nutzung. Derzeit stehen die Chancen gut, dass der Makerspace im kommenden Jahr in die Universitätsbibliothek ziehen und dort sesshaft werden könnte.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Kranz: Dass wir den Makerspace dauerhaft betreiben können. Dass er weiterhin wächst und sich dabei auch immer wieder verändert. Ehrlich gesagt, ich bin selbst gespannt, was daraus noch alles entstehen wird.
Bade: Als Direktorin der Stadtbibliothek wünsche ich mir vor allem, dass die Menschen in Rostock durch den Makerspace verstehen, wie sich die Bibliotheksarbeit in den letzten Jahren gewandelt hat. Eine moderne Bibliothek – das sind heute halt nicht mehr nur Bücher. Das ist genauso ein Streamingdienst, das sind Lastenfahrräder, das sind 3-Drucker und Stickmaschinen. Aber an diesem dicken Brett werden wir wohl noch eine Weile bohren müssen.
In dieser Reihe berichten wir über Menschen, die Lernen und Lehren neu gedacht haben und kreative Raumkonzepte entwickeln, um Kinder und Jugendliche in und auch außerhalb von Schule für MINT-Themen begeistern. Teil 1 gibt es unter „Weitere Informationen“.