Unterstützung Glückssache?
Schulleitungsbefragung offenbart uneinheitliches Bild davon, wie Schulaufsicht und Schulträger ihre Funktionen ausüben.
Sind die Vorgaben von Politik und Trägern für Schulen in Deutschland eher förderlich oder hinderlich, wenn es um die Entwicklung moderner Lehr- und Lernumgebungen geht? Die meisten Leiterinnen und Leiter von allgemeinbildenden Schulen in Deutschland sehen sich hier in rechtlichen Grauzonen. In einer forsa-Umfrage für die Deutsche Telekom Stiftung bestätigen 61 Prozent für ihren Alltag, dass sie sich zuweilen in rechtliche Grauzonen „brauchbarer Illegalität“ begeben müssten, um Fortschritte in der Schulentwicklung erzielen zu können. Weitere 22 Prozent stimmen dem teilweise zu. Nur vier Prozent der Schulleitungen sehen dies eher nicht oder überhaupt nicht so.
Öffentliche Schulen in Deutschland stehen je nach Bundesland unter einer für gewöhnlich dreistufigen Schulaufsicht: an der Spitze das jeweilige Bildungsministerium, an zweiter Stelle die Landesschul-, Oberschulämter oder Bezirksregierungen und schließlich die staatlichen Schulämter als unterste Aufsichtsbehörden. Mit dem Schulträger – bei öffentlichen Schulen sind das in der Regel Gemeinde oder Kreis, bei Schulen in freier Trägerschaft etwa Kirchen oder nichtkonfessionelle gemeinnützige Träger – kommt noch eine weitere Kontrollinstanz hinzu. Die Schulaufsichtsbehörden sind für alle sogenannten inneren Schulangelegenheiten zuständig – vereinfacht gesagt: alles rund um Lehrkräfte und Pädagogik. Die Schulträger hingegen müssen sich um die äußeren Schulangelegenheiten kümmern, also um alles, was mit den Gebäuden zu tun hat, sie stellen aber ihrerseits auch Personal, von weiteren pädagogischen Fachkräften wie Sozialpädagogen bis zu Sekretariat und Hausmeister.
Wie funktioniert diese vielstufige Rollenverteilung für diejenigen, die die Bedingungen fürs Lehren und Lernen vor Ort gestalten sollen? Die Umfrageergebnisse zeigen, wie unterschiedlich Schulleitungen Kontrolle und Unterstützung von Schulaufsicht und Schulträgern empfinden und dass offenbar die Bedingungen divergieren, unter denen Schulleitungen arbeiten.
Schulträger agieren sehr unterschiedlich
Die Kontrollfunktion des Schulträgers schätzen die Schulleitungen der Umfrage zufolge im Durchschnitt als eher gering ein: Auf einer Skala von null (keine) bis sieben (maximal) wählen zwei Drittel Werte zwischen null und drei. Bei der Unterstützung durch den Schulträger sieht es nach Ansicht der Schulleitungen zwar etwas besser aus; aber immerhin noch 45 Prozent wählen auch hier die Werte von null bis drei. Insgesamt fällt bei beiden Aspekten eine große Streuung bei den Angaben auf. Aus Sicht der Schulleitungen üben die Schulträger ihre Funktion demnach sehr unterschiedlich aus.
Weitere Befragungsergebnisse zeigen, wie unterschiedlich die Gegebenheiten vor Ort entsprechend sein können: So stimmt nur ein knappes Fünftel der Schulleitungen voll und ganz der Aussage zu, im Rahmen eines Globalbudgets frei über die Mittelverwendung entscheiden zu können. Bei weiteren 28 Prozent ist das eher der Fall. Ein Drittel der Schulleitungen können nach eigenen Angaben dagegen nicht frei über finanzielle Mittel entscheiden. Auch haben 40 Prozent der Schulleitungen kein Mitspracherecht bei der Auswahl des vom Schulträger gestellten Personals, etwa für das Sekretariat; weitere 15 Prozent nur „teils/teils“. Und nahezu zwei Drittel (63 Prozent) der Befragten sagen, dass sich notwendige bauliche Veränderungen weder an den pädagogischen Erfordernissen orientieren noch zeitnah durchgeführt werden.
Das muss deutlich professioneller, transparenter und agiler werden. Eine höhere Verbindlichkeit im Austausch, digital unterstützt – das ist für mich ein Schlüssel.
Auch Jessika Hellge, Schulleiterin der Comenius-Sekundarschule in Stendal, hat wenig Einfluss auf Personalentscheidungen: „Bislang hatten wir damit zwar immer Glück. Doch dass eine Schulleitung an der Auswahl ihrer Mitarbeitenden zumindest beteiligt wird, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Auch bei den Lehrkräften. Ein gutes multiprofessionelles Team ist essenziell für gute Schule und Personalentwicklung eine Führungsaufgabe.“ Die weitere Aufgabenverteilung mit ihrem Schulträger ergibt für sie zwar grundsätzlich Sinn: „Das System ist richtig: Verschiedenste Professionen – IT, Verwaltung, Bau, kaufmännischer Bereich – bringen ihre Kompetenzen ein. Für mich absolut notwendig.“ Doch in der Form der Zusammenarbeit sieht sie Verbesserungsbedarf: „Das muss deutlich professioneller, transparenter und agiler werden. Eine höhere Verbindlichkeit im Austausch, digital unterstützt – das ist für mich ein Schlüssel.“ Optimistisch macht die noch relativ junge Schulleiterin der Generationenwechsel, der sich zumindest in ihrem Umfeld schon vollzieht: „Unser Landrat, die Mitarbeiter im Verwaltungsamt, der Amtsleiter IT – alle genau mein Jahrgang. Wir sind sehr digital, betreiben Networking, kennen und nutzen miteinander digitale Anwendungen, die das Arbeiten effizienter machen. Wenn diese Prozesse Einzug bei den Schulträgern halten, dann wird es für die Schulleitungen viel zufriedenstellender.“
Schulaufsichten agieren sehr unterschiedlich
Die Kontrollfunktion der Schulaufsicht schätzen die befragten Schulleitungen leicht höher ein als die des Schulträgers: Auf einer Skala von null (keine) bis sieben (maximal) verorten knapp vier von zehn Befragten (37 Prozent) ihre Schulaufsicht bei Werten zwischen null und drei; ähnlich viele dagegen bei fünf bis sieben (40 Prozent). Die Unterstützung wird vergleichbar eingeschätzt. Insgesamt variiert jedoch auch die Beurteilung der Schulaufsicht erheblich zwischen den Befragten.
Die Antworten zu verschiedenen Einzelaspekten geben auch hier erhellende Einblicke: So sagen rund vier von zehn Schulleitungen (38 Prozent), dass die Bedarfe der Schule überhaupt nicht oder eher nicht regelmäßig erhoben werden. Mehr als die Hälfte der Befragten erhalten keine professionellen Werkzeuge zur Erfüllung ihrer Aufgaben, zum Beispiel eine zeitgemäße Verwaltungssoftware. Fast die Hälfte der Schulleitungen findet die Angebote zuständiger Landeseinrichtungen, etwa der Landesinstitute, für die Personal- und Unterrichtsentwicklung ungenügend. Und zwei Drittel geben an, nicht die notwendigen Zeitressourcen zu haben, um ihre Schulleitungsaufgaben professionell und effizient erfüllen zu können.
Handlungsspielräume der Schulleitungen: sehr unterschiedlich
Ihre eigenen Handlungsspielräume beurteilen die befragten Schulleitungen im Durchschnitt als eher mittelmäßig. Elf Prozent geben an, besonders hohe bis maximale Gestaltungsspielräume zu haben. In etwa genauso viele (13 Prozent) sagen aber, sie hätten keinerlei oder nur sehr geringe Spielräume. Ähnlich beurteilen die Schulleitungen die Möglichkeiten, ihre Gestaltungsspielräume auch nutzen zu können, nämlich im Durchschnitt mittelmäßig, mit stark divergierenden Bewertungen. So beurteilen 14 Prozent ihre Möglichkeiten als besonders hoch bis umfassend, während mehr als jeder Fünfte (22 Prozent) angibt, dies kaum bis gar nicht tun zu können.
Wertschätzende Unterstützung darf nicht die Ausnahme sein. Sie ist auch wesentlicher Teil meiner beruflichen Motivation.
Angesichts dieser Ergebnisse kommt sich Mario Mosbacher, Schulleiter des Fürstenberg-Gymnasiums in Donaueschingen, vor wie auf einer Insel der Glückseligen: „Es ist mir lange nicht klar gewesen, dass es andernorts so ganz anders aussieht. Für mich steht fest: Wenn ich als Schulleiter die unterste Ebene der Kultusverwaltung bin, die garantieren soll, dass alles läuft, dann muss ich doch bitte auch beteiligt werden und frei agieren können. Sowohl mit meinem Schulträger als auch dem Regierungspräsidium ist das so. Diese wertschätzende Unterstützung darf nicht die Ausnahme sein. Sie ist auch wesentlicher Teil meiner beruflichen Motivation.“ Die Kompetenz der Schulleitungen vor Ort sei unerlässlich, um das Schulsystem weiterzuentwickeln: „Und hierfür brauchen wir einfach Gestaltungsspielräume und Ressourcen – Zeit, Personal und Ausstattung.“
„Viele Schulleiter haben keinerlei Mitspracherecht bei der Einstellung von Personal durch den Schulträger, Lehrkräfte werden ohnehin von der Schulaufsicht zugeteilt. In der Wirtschaft, aber auch anderen Bereichen wäre das unvorstellbar! Ein gutes Team aufzubauen, ist Führungsaufgabe par excellence. Letztlich müsste die Schulleitung die Verantwortung für das gesamte Personal an der eigenen Schule haben. Davon sind wir weit entfernt“, sagt Thomas de Maizière, Vorsitzender der Deutsche Telekom Stiftung. „Aufmerken lässt bei den Ergebnissen auch, dass drei von fünf Schulleitungen sagen, Schule lasse sich nur voranbringen, wenn sie als Verantwortliche vor Ort Vorgaben missachten. Der Ausweg aus diesen Grauzonen kann nur sein, die Schulen in eine weitaus größere Handlungsfreiheit zu entlassen. Denn Schulleitungen wissen am besten, was vor Ort vonnöten ist und was funktioniert.“
Mehr Freiheit für Schulleitungen nötig
Dass Deutschlands Schulen deutlich mehr Autonomie benötigen, hat Thomas de Maizière bereits im März 2023 gemeinsam mit dem damaligen Geschäftsführer Ekkehard Winter in einem Positionspapier für die Telekom-Stiftung gefordert. Für ihn steht fest: „Schulleitungen müssen die Verantwortung vor Ort übernehmen und die dafür notwendige Unterstützung erhalten!“
Für die Umfrage „Bildungssteuerung“ hat das Meinungsforschungsinstitut forsa im Auftrag der Deutsche Telekom Stiftung 1.014 Schulleitungen allgemeinbildender Schulen in öffentlicher Trägerschaft befragt. Die repräsentative Online-Erhebung hat vom 17. April bis zum 10. Mai 2023 stattgefunden. Dabei ging es um die Frage, wie Schulleitungen die Unterstützung und Kontrolle von Schulaufsicht und Schulträger wie auch ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten wahrnehmen. Der komplette Ergebnisbericht kann hier abgerufen werden.