„Schule erstickt unsere Neugier“
Elli, 17 Jahre, und Eddie, 15 Jahre, erläutern im Interview ihre Forderungen zur Zukunft der Bildung, die sie mit anderen Jugendlichen erarbeitet und in einem Positionspapier zusammengefasst haben.
Ihr habt Euch bei der Jugend-Zukunftskonferenz intensiv damit auseinandergesetzt, wie Kinder und Jugendliche aus Eurer Sicht besser lernen könnten. Was hat Euch bewogen, dabei zu sein?
Eddie: Mir ist es wichtig, dass jede und jeder Zugang zu guter Bildung hat. Dass alle unter vergleichbaren Bedingungen lernen können. Dass unser schon so altes Schulsystem aufgebrochen wird und sich endlich daran ausrichtet, was heute wichtig ist.
Elli: Ich gehe schon sehr lange mit dem Gefühl in die Schule: Eigentlich stimmt was nicht, eigentlich muss sich vieles ändern. Ich beobachte, dass Schule kein Ort ist, an den wir Schülerinnen und Schüler gerne gehen. Dahinter verbergen sich so viele Probleme, die wir bearbeiten müssen.
Welche Probleme seht Ihr da vor allem?
Elli: In jedem steckt von Anfang an eine Neugier. Wir wollen lernen und wir haben Spaß dabei. Leider wird das in der Schule nicht gefördert, sondern erstickt, durch Frust und Stress ersetzt. Dabei muss und kann die Schule ein Raum sein, denke ich, wo wir lernen wollen – nicht für Noten, sondern für uns selbst. Nur lässt es das System jetzt nicht zu: Wir haben zu viel Druck durch die Noten, sitzen mit vielen eingepfercht in einem Raum. Es ist zum Teil auch ein großer Konkurrenzkampf: Wie bewertet der Lehrer, die Lehrerin die anderen, wie mich? Wer kriegt die Aufmerksamkeit? Schule heute ist einfach kein Raum zum Wohlfühlen, zum Lernen aus uns heraus.
Ein Punkt, der Euch sehr wichtig zu sein scheint, ist eine größere Entscheidungsfreiheit: Ihr wollt, dass junge Menschen selbst bestimmen können, was, wann oder wo sie lernen. Wie kann das konkret aussehen?
Eddie: Es geht um mehr Wahlfreiheit – nicht darum, nur noch das zu tun, was einem gefällt, oder gleich alles sein zu lassen. Für mehr Wahlfreiheit könnte man sehr viel früher mit Leistungs- und Grundkursen anfangen, mit Erweiterungskursen. Dass etwa diejenigen, die für Geschichte brennen, einen Leistungskurs machen, und die anderen einen Grundkurs. Im Moment ist es so: Die einen kriegen zu viel – und vergessen eh sofort das meiste wieder – und die anderen kriegen zu wenig.
Viel Freiheit bedeutet gleichzeitig auch viel Verantwortung. Glaubt Ihr, dass alle Kinder und Jugendlichen gut damit zurechtkommen?
Eddie: Niemand sollte in Sachen Freiheit ins kalte Wasser geworfen werden, sondern nach und nach herangeführt werden und lernen, eigenständig zu arbeiten. Dass das wichtig ist, haben wir ja im Homeschooling während Corona gesehen: Mir ist es in manchen Fächern sehr schwergefallen, wenn der Lehrer in der Videokonferenzen kurz etwas erläutert hat und wir es dann zu Hause allein machen mussten.
Elli: Gerade in Freiräumen, wo wir allein lernen können – was uns besonders interessiert oder wo wir noch Lerndefizite haben – ist es wichtig, die Begleitung von Lehrkräften zu haben. Oder auch Peer-to-Peer-Unterstützung, also zum Beispiel durch ältere Jugendliche für jüngere. Ich glaube, wir können eigenständig und eigenmotiviert arbeiten, uns gegenseitig helfen, Fragen stellen. Nur ist gerade das Verhältnis Lehrer/Schüler durch dieses Notensystem zu belastet, als dass wir uns da wirklich frei fühlen und Verantwortung übernehmen wollen.
Das Thema Benotung beschäftigt dich sehr.
Elli: Ja, denn Noten schmettern das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten oft nieder. Dadurch verliert man schnell an Motivation. Jeder Mensch ist fähig, seine Stärken zu erkennen, das muss Schule natürlich auch fördern. Schule verlangt von uns momentan, leistungsproduzierende Maschinchen zu sein, die alle das gleiche abgeben, den gleichen Output haben, also das, was von der Lehrerin, dem Lehrer erwartet wird, und nicht, unsere individuellen Fähigkeiten zu nutzen.
Warum glaubt Ihr, dass Eure Vorstellungen und Forderungen dem entsprechen, was alle oder die meisten Jugendlichen in Deutschland über Bildung und Schule denken und sich wünschen?
Elli: Unsere Forderungen sind so umfassend und schulübergreifend, dass ich denke, dass sie jeden mitnehmen. Wir haben versucht, für alle mitzudenken. Was wir bei der Konferenz diskutiert haben, baute ja auch auf einer vorherigen Studie auf. Bei allen Unterschieden zwischen den Schulen gibt es doch strukturelle Probleme, die dem gesamten Bildungssystem zugrunde liegen, die alle Schulen und alle Jugendlichen betreffen.
Ihr skizziert in Eurem Papier eine Schule als Campus, der sich nach außen öffnet und zugleich viele Freizeitangebote hereinholt. Einen Ort, der Lebens- statt nur Lernraum ist. Warum ist das aus Eurer Sicht wichtig?
Eddie: Wir verbringen so viel Zeit in der Schule. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns dort auch wohlfühlen. An meiner Schule konnten wir einen Chill-Raum einrichten, da sind auch Arbeitsplätze drin, mit Computern, Sofas, ein Tischkicker; es ist total gemütlich da. Das macht was aus!
Wollt Ihr Euch weiter für bessere Bildung engagieren?
Eddie: Auf jeden Fall, das ist mir ultrawichtig. Es ist auch ein Grund dafür, dass ich später selbst Lehrer werden möchte. Um zu probieren, wie es besser geht, es weiter zu fördern. Und ich bin froh, dass ich das heute schon tun kann: An unserer Schule haben wir die Zukunftswerkstatt, in der Schüler, Eltern und Lehrer darüber diskutieren, was wir Schüler uns wünschen, was umsetzbar ist, um Schule zu einem besseren Ort zu machen. Es ist eigentlich wie die Jugend-Zukunftskonferenz, nur bei uns in der Schule.
Elli: Beneidenswert! Denn der erste Ort, sich zu engagieren, ist natürlich die eigene Schule. Dann auf nächster Ebene, wo Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen Schulen zusammenkommen – in Berlin sind das die Bezirksschülerausschüsse und der Landesschülerausschuss. Als Schülersprecherin habe ich dort auch schon mitgearbeitet. Und es gibt so viele Stiftungen und Vereine, die an diesem Thema dran sind. Es ist wichtig, sich zusammenzutun und miteinander weiterzudenken.
Wie zuversichtlich seid Ihr, dass sich in der Bildung etwas in Richtung Eurer Vorschläge ändern lässt?
Eddie: Ich finde es super, dass wir das machen. Etwas in mir lässt mich daran zweifeln, dass sich viel verändert. Aber irgendwann muss man ja anfangen.
Elli: Ich bin ein optimistischer Mensch. Ich glaube, es wird noch ein bisschen dauern, aber ich bin mir sicher, dass die Schule von morgen so aussehen wird, wie wir sie uns erträumen.