Hautnah erleben, wie ein Rad ins andere greift
Als Fellow der Telekom-Stiftung forscht Dr. Timo Reuter daran, wie schon Grundschulkinder nachhaltig für die Naturwissenschaften begeistert werden können.
Vom riesigen Zahnrad aus Holz bis hin zum filigranen Rädchen aus Metall: Seit Urzeiten nutzt der Mensch Zahnräder, etwa um elementare Bedürfnisse wie die Wasserversorgung durch Mühlen sicherzustellen oder um hochkomplexe Abläufe wie in einem Uhrwerk zu realisieren. „All diese Anwendungen haben eines gemeinsam: Bereits Vorschulkinder sind imstande, diese Weiterleitung und Umformung von Bewegung, Drehrichtung und -geschwindigkeit genau zu beobachten und ihre Wirkung nachzuvollziehen“, erklärt Timo Reuter. Mithilfe von Spielzeugbausätzen und den von ihm entwickelten Lernmaterialien können Grundschüler die fundamentalen physikalisch-technischen Zusammenhänge aktiv erleben und erforschen. Auf diese Weise erlangen sie wertvolles Grundwissen, das sie später im Physikunterricht der Sekundarstufe nutzen können, wenn es um die Erkundung von Kraft, Hebel und Drehmoment geht.
Anfragen aus der Schweiz
Als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Koblenz-Landau entwickelt Timo Reuter im zehnköpfigen Team von Professorin Miriam Leuchter neue, innovative Ansätze zum frühen naturwissenschaftlichen Lernen und Problemlösen. „Dabei unterscheidet sich unser Ansatz gar nicht mal so sehr von der Neugier und der Herangehensweise der Kinder: Wir stellen Fragen und erarbeiten Vermutungen, die wir wissenschaftlich überprüfen – ein toller Job!“, sagt der 41-Jährige lachend. Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen wie: Welche Vorstellungen haben Kinder zur Funktionsweise von Zahnrädern und Getrieben? Wo müssen entsprechende Lernangebote ansetzen beziehungsweise wie sollten Lernziele, Aufgaben und Interaktionselemente aussehen, damit sie Kindern gerecht werden? Welche Materialien eignen sich für den Unterricht und wie können diese sinnvoll gestaltet werden? Die Antworten auf diese Fragen sind in die vielfältigen, von Reuter konzipierten Unterrichtsmaterialien geflossen – von den Lerninhalten über Aufgabenkarten bis hin zu Steckbrettern mit unterschiedlich großen Zahnrädern –, die für alle Interessierten bestellbar sind.
„Die Resonanz von Studierenden ebenso wie von Lehrkräften ist durchweg sehr positiv“, freut sich Timo Reuter. „Sogar aus der Schweiz kamen bereits Anfragen.“ Neben der finanziellen Unterstützung durch die Telekom-Stiftung im Rahmen des Förderprogramms Fellowship Fachdidaktik MINT schätzt Reuter vor allem den Austausch mit den anderen Fellows: „Auf diese Weise habe ich wertvolle Hinweise erhalten, die ich mit unserem Team vor allem zur Messung des Lernfortschritts bei Kindern nutze.“
Blickt man zurück auf Timo Reuters beruflichen Werdegang, ist es keineswegs selbstverständlich, dass er heute in der MINT-Fachdidaktik lehrt und forscht. Nach dem Studium der Publizistik und Filmwissenschaft arbeitete er zunächst im Bereich Medien- und Marktforschung. Die dort gewonnenen methodischen Kenntnisse zu Daten- und Inhaltsanalysen konnte er bei späteren Tätigkeiten erfolgreich anwenden. So war Timo Reuter unter anderem als wissenschaftlicher Projektleiter bei der Stiftung Lesen in Mainz aktiv, ehe es ihm ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermöglichte, in pädagogischer Psychologie zu promovieren. In diesem Rahmen nahm er die kognitiven Lernprozesse bei Kindern genauer unter die Lupe. Stets verbunden mit konkreten Fragestellungen, zum Beispiel: Wie genau müssen Tabellen, Skizzen und Aufgaben gestaltet sein, damit Kinder diese verstehen und lösen können?
Reichlich Luft nach oben
Denn aus seiner Erfahrung als Vater zweier Schulkinder, die derzeit die zweite und fünfte Klasse besuchen, weiß Timo Reuter nur zu gut, dass das im Sachunterricht verwendete Lehrmaterial noch reichlich Luft nach oben hat. „Wenn ich mir etwa das Arbeitsblatt meiner Tochter zum Igel anschaue, dann sehe ich leider nur spärliche Informationen zum Winterschlaf und die Möglichkeit zum Ausmalen – und das war es schon“, kritisiert Reuter. „Dabei brennen Kinder schon im Grundschulalter mit ihrer Neugier darauf, wissenschaftliche Fragen zu stellen, zu experimentieren und technische Probleme zu lösen.“ Dass komplexe Themen wie etwa der Klimawandel früh im Sachkundeunterricht behandelt werden, begrüßt Reuter daher ausdrücklich. „Leider werden jedoch häufig eher gesellschaftliche Aspekte thematisiert, weil den meisten Lehrern der naturwissenschaftliche Hintergrund fehlt.“
Auch künftig gibt es viel für Timo Reuter zu tun: So wird der gebürtige Hesse – mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft – weiter am Thema Zahnräder und der Förderung von technischen Denk-, Handlungs- und Arbeitsweisen arbeiten. Darüber hinaus will Reuter verstärkt digitale Lehr- und Lernmittel entwickeln sowie deren Wirksamkeit überprüfen. Mehrere Lernvideos hat er bereits professionell produziert – stets verbunden mit der Frage, wie diese gestaltet sein müssen, damit sie ihre didaktische Wirkung optimal entfalten. Aber auch im digitalen Bereich lassen ihn die Zahnräder nicht los. So wurde in seinem Team bereits eine entsprechende Lern-App entwickelt und programmiert. Bleibt nun zu erforschen, ob der Groschen bei den jungen Tablet-Nutzern ebenso schnell fällt wie bei den Schülern, die ganz plastisch erleben, wie ein Rädchen ins andere greift.